Stimmungsbilder - das sind Harald Sohlbergs Gemälde für mich in erster Linie. Der Maler des Symbolismus, 1869 im heutigen Oslo geboren, widmete sich größtenteils der Landschaft als Bildthema. Mit akribischer Genauigkeit arbeitete er winzige Details mit einzigartiger Lebendigkeit heraus, entwarf ausgewogene Bildkompositionen und war ein Meister darin, die besonderen Farbschattierungen seiner norwegischen Heimat einzufangen. In vielen seiner Werke wird der Betrachter auf eigentümliche Weise in den Bildraum hineingestellt und erlebt so die Bilder aus einer sehr persönlichen, intimen Nähe. Dabei sind Sohlbergs Landschaften nicht bloße Reproduktion derselben; vielmehr malte er "seinen persönlichen und seelischen Eindruck des Motivs" (S. 83).
Die begleitenden Texte des Buches zeichnen ein umfangreiches Bild des Künstlers, seines Lebens und seines persönlichen Werdegangs; er wird kunsthistorisch verortet und in Beziehung zu zeitgenössischen Malern gestellt, wobei stets die Originalität seines persönlichen Stils hervorgehoben wird. Kommentare und Meinungen seiner Mitmenschen, aber auch eigene Briefe und andere schriftlich festgehaltene Äußerungen des Künstlers ermöglichen einen tiefen Einblick in die Wirkung, die Sohlbergs Schaffen zu seiner Zeit hatte, genauso wie in seine technischen Vorgehensweisen.
Auch ganz ohne die Texte entfalten die 200 farbigen, meist großformatigen Abbildungen einen nicht zu leugnenden Sog in die Welt des Malers. Zahlreiche Studien belegen den langen, geduldigen Bildfindungsprozess, an dessen Ende stets dennoch eine Momentaufnahme zu stehen scheint. Der Lichteinfall, die Neigung der Blätter, die Reflexionen in der Wasseroberfläche - all dies und mehr ist wie in einer Fotografie spontan und einmalig festgehalten und verrät nichts von der langen, mühevollen Arbeit dahinter. Schwerelosigkeit verbindet sich mit Monumentalität, Ernsthaftigkeit mit lieblicher Verspieltheit. So etwa in Blumenwiese im hohen Norden: im Hintergrund baumbestandene Hügelketten, davor einige Farmgebäude. Der wolkenverhangene Himmel wirkt fast bedrückend in Kombination mit der gedämpften Farbpalette. Im Vordergrund jedoch steht ein großes Margeritenfeld, der Betrachter mittendrin, dessen Blumen teils Ballerinen gleich zu tanzen scheinen. Oder in Winternacht in den Bergen: das gewaltige Bergmassiv erlebt der Betrachter aus einer beinahe schwebenden Position, das Strahlen des auf dem Schnee reflektierten Mondlichts hebt jedwede Bedrohlichkeit der knorrigen, dunklen Baum- und Strauchgerippe zu den Seiten des Vordergrundes gekonnt wieder auf.
Besonders gut gefällt mir das Kapitel über eben jene Winternacht in den Bergen, eines der bekanntesten und beliebtesten Gemälde Sohlbergs, gleichzeitig auch Mittelpunkt seines Schaffens. Das Kapitel beschreibt umfangreich die Bedeutung des Motivs in der Kunstgeschichte, das Gebirge Rondane in der Literatur und Musik und vor allem den Weg des Künstlers zum Gemälde selbst. Die auch hier zahlreich vorhandenen Bildstudien zeigen auf, wie intensiv sich Sohlberg mit dem Motiv auseinandergesetzt hat; belegen die vielen Überlegungen, die dahinterstanden. Dieser Prozess kann zusammenfassend als typisch für das Schaffen des Malers verstanden werden: er benötigte stets die direkte Auseinandersetzung mit dem Bildthema vor Ort; er fertigte Fotografien und zahlreiche Zeichnungen an, um ihm als Gedächtnisstütze zu dienen, aber auch um die einzelnen Bilddetails und die Gesamtkomposition in ihren Wirkungen untersuchen zu können, ehe er schließlich das Gemälde teilweise in jahrelanger Arbeit fertig stellte. Häufig befasste er sich mit einem Bildthema immer wieder. Dabei "darf es auf keinen Fall nur eine Wiederholung werden. Dann ist es verwerflich und verächtlich." (S.149, Äußerung Sohlbergs im Jahre 1921). Stets variierte er in diesen Bildserien bestimmte Aspekte, sodass jedes Gemälde des gleichen Bildinhaltes immer etwas Neues und Vorher nicht Gesehenes in der Landschaft oder der Stimmung des Motivs darstellt. Sohlberg konzentrierte sich auf Farbstimmungen genauso wie auf den Symbolgehalt einzelner Bildelemente, in seinen Gemälden der Berge in Rondane etwa auf die Anordnung der Sterne oder die mit der Zeit immer deutlicher werdende Herausarbeitung eines Kreuzes am Berggipfel.
Das Buch beleuchtet auch bisher nicht so bekannte Aspekte im Schaffen des Malers, etwa seinen Aufenthalt in Weimar, um seine Fähigkeiten als Figurenmaler weiter voranzutreiben, oder seine Fotografien, mit denen er einen entscheidenden Beitrag zum Piktorialismus und zur Gebirgsfotografie im Norwegen seiner Zeit leistete.
Einzig fehlen wollen mir überschaubare und als solche deutlich gemachten Zusammenfassungen der einzelnen Texte. Denn nicht jedem von uns steht im Trubel des Alltags genug Zeit zur Verfügung, sich auf lange Texte einzulassen. Da helfen uns kurzweilig geschriebene Infos, das Wesentliche zu verinnerlichen und uns trotz des Alltagstrubels ein wenig Kultur-Wissen "by the by" anzueignen. Allerdings sind die Gemälde Harald Sohlbergs gewiss nicht auf die begleitenden Texte angewiesen, sondern entfalten auch ohne diese eine eindeutige und eindringliche Wirkung.
Harald Sohlberg: Unendliche Landschaften
erschienen im Hirmer Verlag, 240 Seiten, 39,90€, ISBN: 978-3-7774-3086-7
https://www.hirmerverlag.de/de/titel-1-1/harald_sohlberg-1710/
Kommentar schreiben